Natürlich galt es, nach dem mega langen Renntag gestern, heute nochmal das letzte Fünkchen Energie herauszupressen. Meine Beine haben sich geopfert. Der Rest vom Körper fühlt sich nicht gerade besser an.
Ich glaube, ich habe alles durchgemacht, was es an Emotionen, Schmerzen und Glücksgefühlen gibt. Erleben andere in 3-Wochen Selbstfindungsretreat in Indien, ich in 3 Tagen Haute Route Ventoux.
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Bédoin Dream Team im Ziel: Karin, Reb und Kim 😍 |
Zeitfahren Bédoin-MontVentoux: 21,5 Km | 1580Hm 😜 – hier der Film dazu!
Nach den 6 Stunden gestern + den 5,5 Stunden am Vortag, war ich gespannt, wie das wird. Mein Ziel hatte ich vorsorglich hoch angesetzt:
1:30 Std wollte ich schaffen. Meine Rechnung habe ich aufgrund meiner Bestzeit beim Schauinslandkönig, dem Freiburger Bergzeitfahren gemacht. Dort ist meine Bestzeit 40:08 Min auf 11,5 Km und 900 Hm. Das Ganze x 2 + 10 Min. Die 10 Min für mein viel schwereres Rad (damals hatte ich ein 5.5 kg Rad) und mein Plus an Körpergewicht. Bei den x 2 stimmen die Kilometer und Höhenmeter nicht ganz aber die Differenz habe ich gegen den Gegenwind und mein unstrukturiertes Training gerechnet. Für mich kam das ganz gut hin.
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Startrampe |
Taktik ist die halbe Miete
Dank meiner super Zeit gestern, war ich in Gruppe 7, und damit Startzeit zwischen 9:40–9:50 Uhr. Andere mussten schon in Eiseskälte um 7:40 Uhr auf die Runde. Ich wäre von der Rampe gefahren, direkt ins nächste Café und erst später über die Matte hinterm Kreisel, denn erst dort wurde die Zeit gemessen. Ähnlich schlau habe ich das dann gemacht, als ich an der Reihe war. Nicht wegen der Kälte, sondern dem Wind.
Ich hab den Typen hinter mir gefragt, ob ich mich etwas in seinen Windschatten hängen könnte und lies mir in der neutralen Zone so viel Zeit, dass er aufschließen und ich direkt hinter ihm über die Matte fahren konnte. Das war für die ersten 3 Kilometer perfekt, danach musste ich ihn ziehen lassen.
Ich war eifersüchtig auf seinen iPod, ich wollte auch Musik und mir nicht dieses schrecklich laute, gequälte Atmen anhören. Heute kam es aber nicht von anderen Teilnehmern, sondern aus meinen Lungen.
Ich machte ungesunde Geräusche und wann immer jemand in meiner Nähe war, musste ich an den Italiener von gestern denken und versuchte, etwas ruhiger zu atmen. Es gelang mir nicht. Ich war am Ertrinken, Ersticken, es röchelte, der Speichel lief unkontrolliert aus den Mundwinkeln und die Rotze aus der Nase. Wenn man manchmal Athleten im Fernsehen sieht, die voller ekliger Schleimfäden im Gesicht sind und man sich fragt, wieso die das nicht wegmachen, dann weiß ich jetzt wieso. Es geht einfach nicht. Man kann nur noch atmen und treten, wenn überhaupt. Und den Lenker festhalten. Meine Muskeln wollten Coke aber mein Magen verweigerte. Ich musste mich zwingen was zu tinken, der Schweiß tropfte irgendwann von der Nasenspitze oder flog in vielen Tröpfchen beim überlauten Pusten weg. Die Coke klebte am Kinn und tropfte auf's Oberrohr. Ich war völlig am Ende meiner Kräfte und wusste nicht einmal, wie weit ich diese Qualen noch ertragen musste. Am Rand wieder die kleinen weißen Steine, die die Kilometer und die Steigung bis zum Gipfel anzeigen. Ich konnte nicht mehr rechnen, wir mussten ja nicht bis zum Gipfel, weil aufgrund des Windes am Chalet Reynard gestoppt wurde.
Meine letzten paar winzigen Tröpfchen Blut waren in den Beinen verschwunden. Vonwegen schöner Anstieg. Ich quälte mich elendig.
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Mit diesem Rad durch die Hölle und zurück. Wir sind best friends jetzt 💗 |
Leslie und der Wind
Ich sah auf den ersten schweren Steigungen im Wald Leslie, die Britin von gestern. Sie war ein paar Minuten vor mir gestartet aber hatte sichtlich Probleme.
Ich fuhr auf sie auf und machte ihr Mut, sagte, sie solle dranbleiben, "Push hard" und so'n Zeug. Am Ende gab ihr das die nötige Extrapower dranzubleiben, dann zog sie an mir vorbei, dann außer Sichtweite. Ich hatte das Gefühl, dass meine letzte Power mit ihr mitgefahren ist.
Als sich der Wald ein wenig lichtete, ahnte ich schon das Ziel aber aufgrund der verkürtzten Strecke gab es keine Schilder und so blieb mir nichts anderes übrig, als weiterzutreten. Der Wind war teilweise so heftig, dass ich fast stand. Ich wünschte mir Autofahrer, die sich vor mich hängten aber die haben heute schön weit außen überholt und mich im Sturm absterben lassen. Oben im Ziel ein letzter Aufbäumversuch und mit den Rufen von Karin und Kim ins Ziel. Ich musste mich erstmal ein paar Minuten am Boden sammeln, so fertig war ich.
Meine Zeit: 1:08 h, damit 7. heute und Overall.
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Fertig und happy: 3 Tage außerhalb der Komfortzone |
Warum tut man sich das an?
Weil es sich im Ziel so unglaublich gut anfühlt. So richtig gut, mehr als gut, wahnsinnig, überwältigend, crazy! Weil man merkt, was man alles schaffen kann. Weil man erkennt, dass man zu so viel mehr in der Lage ist. Weil man tolle Menschen kennenlernt und eine Leidenschaft teil. Man leidet ja zusammen. Weil es Spaß macht, sich zu messen, die Grenzen zu verschieben, zu sehen, was geht. Weil man sehr nah bei sich ist. Es waren tolle Tage hier und dafür danke ich Karin, Kim und dem Bürgermeister, der mir den Startplatz zur Verfügung gestellt hat.
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Bédoin Dream Team. Ich bin so stolz auf meine Mädels 😘. Well done girls! |
Würde ich es nochmal machen?
Schwer zu sagen.
Es sind von 400 Startern mehr als 50 DNF und das will was heißen. Es war verdammt hart. Startgeld ist mit 695€ verdammt viel, wenn man bedenkt, dass die Straßen nicht gesperrt sind, kaum Helfer an den Verpflegungen sind, Becher nicht gereicht werden, es keine Flaschen gibt, zu wenig Schilder gegen Streckenende, die Webseite ziemlich unübersichtlich ist, keine GPS-Daten verfügbar sind, kein richtiges Höhenprofil, fehlerhafte Infos, Rucksack in unbrauchbarer Qualität, Trikot und Hose zwar schick aber in seltsamen Kindergrößen, Zielverpflegung ok aber auch nicht mega und geehrt wurden nur die 3 schnellsten Frauen und Männer. Für so viel Geld müsste mehr kommen. Ok, die 15 Min. kostenlose Massage habe ich nicht ausprobiert aber die hätten es wohl auch nicht rausgerissen.
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Dreamteam Bédoin: Kim aus UK, Karin aus der Schweiz und ich mit Bürgermeister Luc Reynard |
Aber natürlich ist der Berg an sich schon ein Erlebnis und so wird die Veranstaltung für mich immer etwas ganz Besonderes bleiben. Das Team war sau lustig und nett, ich mochte den Mix aus englischem Humor und französischem Charme. Mein Dank geht an die Helfer, an Rémi und Luc und die vielen anderen. Vor allem aber an Karin vom Mas des Olives, ohne die ich nicht dazu gekommen wäre. Merci beaucoup!!!💗
Morgen geht es zurück zu meinen Bergen 🌄 und neuen Herausforderungen🤘.
Eure Reb
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Pic: Haute Route Ventoux |